CAUSA AIWANGER: „Richtig wäre gewesen, nicht nur Reue zu heucheln, sondern auch plausibel zu machen“
CAUSA AIWANGER: „Richtig wäre gewesen, nicht nur Reue zu heucheln, sondern auch plausibel zu machen“.
Politologe Prof. Werner J. Patzelt spricht im WELT-Gespräch über die Causa Aiwanger.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält trotz der Vorwürfe rund um ein antisemitisches Flugblatt an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fest. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder am Sonntag in München. Der CSU-Chef übte allerdings Kritik an Aiwangers Krisenmanagement. Söder beteuerte zugleich, an der Koalition mit den Freien Wählern festhalten zu wollen. «Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben.» Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hielt Söder vor, aus «schlichtem Machtkalkül» heraus zu handeln. In Bayern sind in fünf Wochen Landtagswahlen.
Die bayerische Staatsregierung veröffentlichte am Sonntag die von Söder gestellten 25 Fragen an Aiwanger sowie dessen Antworten. Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit mehr als einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. Gleichzeitig ging er zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen sich und seine Partei – was ihm neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte.
Söder sagte am Sonntag, er habe zudem ein langes Gespräch mit seinem Vize geführt. Aiwangers Krisenmanagement sei «nicht sehr glücklich» gewesen. Dieser hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen, sagte Söder. Aiwangers Entschuldigung und Distanzierung sei zwar spät, aber nicht zu spät gekommen. Nun müsse dieser verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und etwa Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen.
Der Ministerpräsident erklärte, es sei um schwere Vorwürfe gegangen. Das Flugblatt sei «besonders eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazi-Jargon». Er habe genau abgewogen und ein faires Verfahren finden wollen. Ihm sei wichtig gewesen, nicht allein aufgrund von Medienberichten entscheiden und keine Vorverurteilung vornehmen zu wollen. In der Gesamtabwägung sei eine Entlassung aus dem Amt aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig.
Seine Entscheidung begründete Söder im Wesentlichen mit fünf Punkten: «Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden.» Zweitens habe er sich entschuldigt und Reue gezeigt. «Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so wie er mit 16 war», erklärte der Ministerpräsident
Aus der bayerischen Opposition kam heftige Kritik an Söders Entscheidung. SPD-Landeschef Florian von Brunn sprach von einem «traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt». Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, Söder habe «einen schlechten Deal für unser schönes Bayern gemacht».
Auch Bundespolitiker kritisierten Söders Entscheidung. Sie sei «keine gute», sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) der dpa. Und mit Blick auf Aiwanger: «Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere.» Da sei eine Grenze überschritten.
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