Die Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36 von Peter Tschaikowsky, gespielt vom WDR Sinfonieorchester unter der Leitung seines damaligen Chefdirigenten Semyon Bychkov. Live aufgenommen in der Kölner Philharmonie am . Historische Aufnahme aus dem WDR Klassik-Archiv.
Peter Tschaikowsky - Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36
00:00:00 I. Andante sostenuto – Moderato con anima – Moderato assai, quasi Andante – Allegro con anima
00:18:26 II. Andantino in modo di canzona
00:29:07 III. Scherzo: Pizzicato ostinato – Allegro
00:34:45 IV. Finale. Allegro con fuoco
WDR Sinfonieorchester
Semyon Bychkov, Leitung
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Werkeinführung
Der Mozart-Fan Tschaikowsky schrieb sich seine eigene Verstörtheit mit der vierten Sinfonie vom Leib, entstanden in einer schicksalhaften Lebenswende.
In den Augen Peter Tschaikowskys gehörte Anatolij Ljadow zur “falschen“ Partei – nämlich dem St. Petersburger Kreis um Mussorgskij und Borodin, der sich “Russische Fünf“ oder “Mächtiges Häuflein“ nannte und sich der Stärkung nationaler Traditionen verpflichtet hatte, aber für Tschaikowsky ein Dilettantenverein war. Der in Moskau wirkende Tschaikowsky wiederum wurde von den “Fünf“ als dekadenter “Westler“ beargwöhnt. Doch Tschaikowsky revidierte seine negative Meinung über Ljadow und traf ihn 1887 persönlich. Seitdem besuchten sie einander öfter, vielleicht auch als Geistesverwandte in depressiven und hypersensiblen Wesenszügen.
Anders als Ljadow aber schmiedete Tschaikowsky aus inneren Krisen umfangreiche Meisterwerke. “Oblomowerei“ war seine Sache nicht. Dass Tschaikowsky in nur zwei Jahren höchster seelischer Anspannung gleich drei Hauptwerke fieberhaft herausschleuderte, grenzt an ein Wunder: “Eugen Onegin“, das Violinkonzert und die vierte Sinfonie sind die Ernte von 1877/78, seinen persönlichen Katastrophen-Jahren. Im Juli 1877 heiratete er die junge Antonina Miljukowa – entgegen seiner homosexuellen Veranlagung. Nach wenigen Wochen endete die Scheinehe im Desaster; Tschaikowsky unternahm einen Selbstmordversuch. Große Teile der Vierten waren da bereits komponiert. Im Januar 1878 konnte er die Sinfonie vollenden, immer im engen brieflichen Austausch mit seiner Mäzenin Nadeshda von Meck, die ein Jahr zuvor in sein Leben getreten war und der er das neue Werk als “bestem Freund“ widmete.
Nadeshda von Meck war auch die Adressatin des berühmten Programms, das Tschaikowsky seiner Vierten nach der Uraufführung im Februar 1878 gab. Es führte zur späteren populären Bezeichnung als “Schicksals-Sinfonie“. Die wuchtige Fanfare der Einleitungstakte charakterisierte der Komponist als “Fatum“: als “verhängnisvolle Macht, die unser Streben nach Glück verhindert, eine Macht, die wie ein Damoklesschwert über unserem Haupte schwebt und unsere Seele unentwegt vergiftet.“ Das von Hörnern und Fagotten im Fortissimo herausgeschmetterte Motiv ist zunächst ganz durch den triolischen Rhythmus bei fast erstarrter melodischer Bewegung bestimmt – ganz wie das Motiv Hundings, des “bürgerlichen“ Gegenspielers der freien Liebe und Leidenschaft aus Wagners “Ring des Nibelungen“. Der von Posaunen und Tuba unterstützte Skalenabsturz der “Fatum“-Fanfare erinnert an das “Vertrags-Motiv“ aus dem “Ring“, also jenem Klangsymbol, das wie Hundings Motiv für die Unbeugsamkeit von Recht und Gesetz steht. Ein Zufall? 1876, ein Jahr vor Kompositionsbeginn der Vierten, besuchte Tschaikowsky die ersten Bayreuther Festspiele und hörte – wenn auch wenig begeistert – die “Ring“-Tetralogie. Vielleicht brannte sich in ihm doch der Wagemut des Wälsungenpaares ein, durch eine alle Fesseln sprengende Liebe die Konventionen hinter sich zu lassen. Tschaikowsky selbst wagte im Leben solches nicht.
Mit einem unruhigen Walzer und einer zarten Klarinetten-Kantilene, laut Programm “flüchtige Träume von Glück“, etablieren sich die eigentlichen Themen des ausgedehnten Kopfsatzes. Die liedhafte Melodie des zweiten Satzes, erst von der Oboe, dann von den Celli intoniert, hat in ihrem Changieren zwischen Lyrik und Schwermut etwas Schuberthaftes – “traurig und süß zugleich“, wie es im Programm heißt. Hinreißend ist der Gegensatz zwischen burleskem Pizzikato der Streicher im Scherzo und folkloristischen Bläsermelodien im Trio. Klingen schon in diesem Satz Volksliedmotive an, so verwendet das mit tänzerischem Schwung beginnende Finale dezidiert ein russisches Volkslied, “Auf dem Feld steht eine Birke“. Das Lied besingt ausgerechnet einen Hochzeitsbrauch junger Mädchen. Es beginnt anmutig in Oboen und Fagotten, wächst sich aber bald zu obstinater Bedrohlichkeit in den Blechbläsern aus. Ein ekstatischer Wirbel reißt alles mit sich fort. Tschaikowskys letzter Satz in der Erläuterung für seine Gönnerin: “Freue dich am Glück der anderen. Das Leben kann erträglicher werden.“
(Text: Kerstin Schüssler-Bach)
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