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© 1998 Norbert Busè
Zeitungskritik :
„Ein Mensch, der nicht schweigen kann, kann nicht hören.“ – Ruhig und sicher spricht die Eremitin, ohne Pathos, ihre klaren tiefen Augen taxieren den neugierigen Besucher nicht, sie schauen ihn an, der zufriedene Mund zuckt nicht urteilend, er wartet auf sorgsam durchdachte Worte: „Wenn man anfängt zu schweigen, werden die Gedanken im Kopf lauter und klarer, und man merkt, daß auch die Dinge Stimmen haben. Erst wenn man auch diese Töne im Kopf zum Schweigen gebracht hat, ist man offen für das, was Menschen sagen können.“
Die Eremitin weiß wohl, was die befremdeten Augen eiliger Gäste stammeln, während die Münder fragen „Was machen Sie mit langen Abenden – ohne Fernseher? Geht das denn so einsam?!“
„Es geht allein“, sagt sie lächelnd den eiligen Gästen. Häufigen Besuchern erzählt sie, daß sie viel betet und meditiert und daß oft Stadtmenschen zu ihr kommen, die wund vor Einsamkeit sind. Ein Jahr begleitete ein Fernsehteam ihr Leben an einem Waldrand im Weserbergland, folgte in die Stille, um zu hören und zu schauen. Schauen, wie der Morgen den Baum auf der Wiese in zartgelben feuchten Nebel hüllt und der Abend ihn in schweres Blau taucht. Einfach hören, wie der Tau von Blättern tropft, wie die Eremitin den Pflanzen die Erde lockert.
Als Fernsehzuschauer konnte man, wenn man wollte, in die Stille mitgenommen werden. Dreißig Minuten hob sie diese Reportage von Norbert Buse aus ihren Sehgewohnheiten. Eine halbe Stunde keine überquasselten grellen Bilder, keine scheppernden Informationsketten, kein lärmendes Urteil. Seltene Filmschnitte ließen den Puls zaghafter schlagen. Zeit zum leisen Denken.
Sich manchmal zurückziehen, für ein paar Wochen aussteigen aus dem Alltagsgetriebe. Welcher gestresste zivilisationsmüde Wohlstandsbürger möchte das nicht? Aber die namenlose 60jährige Eremitin, die der ZDF-Autor Norbert Buse porträtiert, hat konsequent ein Leben in Einsamkeit gewählt, aus dem es keine Rückkehr mehr gibt in das geschäftige Treiben ihrer Mitmenschen.
Claudia Sudik
Verführerisch schön sind die Bilder von ihrer Klause in einer abgeschiedenen Landschaft im Weserbergland. Aber es braucht schon einen starken Glauben, um diese Stille und Weltabgeschlossenheit Tag für Tag auf sich zu nehmen, ohne die Tröstungen von Fernsehen und Radio, ohne das multimediale Geflimmer, mit dem viele ihre Einsamkeit und Leere übertünchen. Die ehemalige Ordensschwester, die Ruhe und innere Gelassenheit ausstrahlt, tut nicht so, als hätte sie mit ihrem Eremitendasein ein Kreuz auf sich genommen. Aber als tätige Solidarität mit den vielen unglücklichen, einsamen Menschen dieser Welt ist ihre Lebensweise ein Glaubensakt, den Menschen, deren Glaube und deren Gottvertrauen schwächer ist, nur schwer nachvollziehen können.
Es bleibt die Faszination und die Irritation, dass ein solches Leben, das sich bei näherem Hinsehen als tätiger und umtriebiger erweist, als es den äußeren Anschein hat, auch heute noch möglich ist, und der Anstoß zur Selbstbefragung: Wie hält man es selbst mit der Einsamkeit? Und wie hält man sie aus?